Reisemüdigkeit auf Weltreise

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  • Beitrag zuletzt geändert am:8. Juli 2022
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Häufig habe ich von Weltreisenden gehört, dass nach einer gewissen Zeit auf Reisen eine gewisse Reisemüdigkeit einsetzte. Das Interesse an fremden Kulturen nehme plötzlich ab, keine Lust mehr neue Wege zu erkunden und eine tiefe Abgeschlagenheit würde sich breit machen. Fast hatte ich gedacht, dass es mich nicht erreichen würde. Immerhin machen wir ja regelmäßig Reisepausen. Wir besuchen unsere Familie in Deutschland, sind immer mal wieder lange an einem Ort und nehmen uns oft Zeit, um ein Land zu bereisen. Und jetzt ist sie da. Die Reisemüdigkeit auf Weltreise hat mich volle Kanne erwischt.

Dankbar für das, was wir erleben durften

Vor ein paar Wochen fing es an. Ganz langsam. Wir reisten mit unserem gemieteten Wohnmobil durch Australien. Unser großer Weltreise-Traum. Genau hier wollten wir schon zu Beginn der Weltreise mit unseren Kindern hin – vor über zwei Jahren. Dann kam Corona, die australische Ländergrenze schloss sich – zwei Stunden (!) bevor unser Flugzeug gelandet wäre. Der Flug wurde storniert und wir saßen in Vietnam fest. Und so reisten wir zwei Jahre durch die Welt und warteten geduldig darauf, dass Australien die Ländergrenzen öffnen würde. Wir haben so viele unfassbar tolle Sehenswürdigkeiten dieses Planeten gesehen: Die Pyramiden von Gizeh, wilde Strände in Costa Rica, den Grand Canyon in den USA, Nordlichter in Island, das höchste Gebäude der Welt in Dubai und freilebende Elefanten auf Sri Lanka.

Und dann kam endlich die Meldung, dass Australien seine Grenzen für Touristen öffnen würde. Wir buchten schnell Flüge und das Wohnmobil. Die Vorfreude war riesig und direkt nach Ankunft fühlten wir uns super wohl. Unfassbar weiße Strände, unzählige Kängurus und Kakadus, diese endlose Weite. Endlich in Australien.

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Happy Me am Strand in Australien

Die Stimmung kippt

Zwei Monate lang reisten wir begeistert durchs Land. Bis wir uns irgendwann ständig auf den Füßen standen. Wir stritten mehr, die Nerven wurden angespannter, die Provokationen untereinander mehr und die Stimmen lauter. Zu allem Übel erkälteten wir uns alle vier gleichzeitig, lagen mal schwitzend, mal frierend im Wohnmobil. Fiebernd, hustend, schneuzend, brechend. War nicht lustig. Dem einen war es zu kalt, dem anderen zu warm. Wir erholten uns langsam von der Erkältung, aber die schlechte Laune blieb.

Ich schob es auf das Wohnmobil. Vermutlich streitet niemand ab, dass die Konstellation: Eltern, 13-jähriger Teenie und 10-jähriger angehender Teenie auf ein paar Quadratmetern ohne Zwischentüren eine anstrengende Kombination sein können. Die ersten Tage nach der Abgabe des Wohnmobils genossen wir in getrennten Hotelzimmern. Die größe des Raums. Raum für sich selbst.

Reisemüdigkeit auf Weltreise in Bali aussitzen

Wir machten einen Hotel-Urlaub in Bali. Verließen die Anlage selten, bestellten Essen, lagen am Pool. Ich hatte nicht einen einzigen Reisebericht über Bali gelesen, keinen Reiseführer, mir nicht die Karte angeschaut – Reisemüdigkeit auf Weltreise eben. Nach fast zwei Wochen zogen wir innerhalb Balis in ein anderes Hotel – fußläufig zu vielen Attraktionen. Und während wir durch die vollen Straßen Ubuds zu einem vermutlich wunderschönen Tempel liefen, wurde mir klar: ich bin immer noch nicht so weit.

Normalerweise interessiere ich mich für die Geschichte des Landes, für die Kultur und Religion. Normalerweise stelle ich Fragen. Jetzt nicht. Während Mark fröhlich mit dem Taxi-Fahrer über steigende Chili-Preise plaudert, starre ich nur aus dem Fenster. In meinem Kopf ist keine Frage. Ich habe kein Interesse. Wie ferngesteuert laufe ich durch den Tempel. Mache pflichtbewusst ein paar Fotos, da ich durchaus verstehe, dass dies ein wundervoller Ort ist. Ich kann es nur gerade nicht fühlen.

Und hier liege ich nun. Auf der Terrasse unseres Hotels, mit einem traumhaften Blick über Palmen und Pool. Ich weiß, dass das alles toll ist. Ich mich glücklich schätzen kann, hier zu sein. Ich habe nur überhaupt keine Lust etwas zu erleben. Noch mehr: Kaum laufe ich durch die Straßen und setze mich neuen Eindrücken aus, bin ich total ausgelaugt. Erschöpft. Vermutlich gibt es schlimmere Orte als Bali, an denen die Reisemüdigkeit während einer Weltreise auftritt. Vielleicht muss ich mir einfach die Zeit nehmen, runterschalten und warten, bis die Erschöpfung vorüber ist. Ich werde mir nun einfach eine Reise-Pause nehmen. All die Sehenswürdigkeiten um mich herum ignorieren und stattdessen lesen am Pool liegen. Ich möchte endlich öfter meditieren, mehr schreiben und meine Gedanken ordnen.

Dennoch habe ich ein klein wenig Angst. Was ist, wenn diese Reisemüdigkeit in zwei Monaten immer noch da ist? Es gibt in Australien und Neuseeland noch so viel für uns zu sehen. Wir sind jetzt hier. Am anderen Ende der Welt.

 

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Plötzlich konnten all die Eindrücke nicht mehr verarbeitet werden

Alles wird sich fügen

Und während ich diesen Text schreibe, fällt mir ein, wie sich vor über drei Jahren alles fügte:

Der hohe Kostenvoranschlag für die Terrassen-Renovierung unseres Reihenhäuschens. Als wir diese erschreckende Summe lasen und dachten „Wie lange wir damit Urlaub machen könnten!“. Wie nach und nach die Idee der Weltreise mit unseren Kindern zum konkreten Plan wurde. Wie wir unser Haus mit Gewinn verkaufen konnten, wir nach einem Jahr auf Weltreise entschieden, einfach weiter zu reisen. Bis wir es endlich nach Australien geschafft hatten. Unserem großen Weltreise-Ziel.

Vielleicht fügt sich gerade wieder ein Puzzleteil in das andere? Ist es nur eine Reisemüdigkeit oder ist es das Einläuten des Endes der Weltreise? Vor einiger Zeit schon schlug ich meiner Familie vor, dass wir uns mal eine Reisepause gönnen. Ein Jahr an einem Ort leben. Wir wissen nicht wo. Ich sehe aber immer deutlicher ein Bild von uns an einem Ort. Ohne Rucksäcke, sondern mit Schränken. Keine improvisierten Küchengeräte, sondern eine ausgestattete Küche. Wissen, wo der nächste Markt ist und welcher Bus in die Stadt fährt. Ich sehe die Kinder alleine zum Bäcker laufen und sich mit Freunden treffen. Ganz vielleicht stehen da sogar Schulranzen im Flur. Das, was ich so lange nicht sehen konnte, nimmt immer mehr Gestalt an. Nicht mehr rund um die Uhr Familienzeit. Zeit für sich selbst, für Freunde und eigene Interessen. Vielleicht kommt die Zeit hierfür nun. Oder ist es doch nur eine Reisemüdigkeit, die mich diese Gedanken denken lässt?

Egal, was es ist. Ob es ein kurzzeitiger Travel-Blues ist, Zeit für eine Änderung unseres Lebensstils oder vielleicht auch ein Anflug von Heimweh – es ist völlig in Ordnung. Jede Veränderung bedeutet nicht immer nur ein Ende. Sondern auch ein Anfang. Ein Anfang mit Kribbeln und Vorfreude.

Wie geht es euch? Habt ihr auf einer Reise schon einmal plötzlich unter Reisemüdigkeit gelitten? Wie seid ihr damit umgegangen?

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Isa-Studie_X

    Total interessanter Bericht! Ich bin gespannt wie es für euch weiter geht!
    Reisemüdigkeit kenne ich durchaus, aber schon bei Reisen die nur 3-4 Wochen dauerten. Wenn das Reiseziel weit entfernt und nur wenig Zeit ist, aber viele Sehenswürdigkeiten auf einen warten. Aus dem Arbeitsalltag raus und ohne große Erholung auf einen Aktivurlaub zu gehen, mit der Aussicht darauf, anschließend wieder direkt mit Stress weiter zu schaffen ist nicht die beste Idee. Aber die Angst etwas zu verpassen ist größer, also stopft man die Tage voll. Am Ende hat eigentlich immer die letzte Etappe gelitten. Keine Lust mehr irgend etwas anzusehen und was andere als toll empfunden haben, hab ich ganz anders bewertet.

    Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr euch nach der ganzen Zeit nach einem Ort mit mehr Raum für den Einzelnen sehnt.

    1. Jenni

      Hey Isabell, kann es absolut nachvollziehen, was du beschreibst. Gerade bei Fernzielen ist die Gefahr groß, dass man sich zu viel vornimmt, weil man die Zeit eben perfekt ausschöpfen möchte, um möglichst viel zu sehen. Dazu kommt ja dann noch der Jetlag, ein anderes Klima, der Arbeits- und Alltagsstress (der ja trotz Urlaub irgendwo noch im Kopf rumschwirrt) und all die Eindrücke der anderen Kultur. Ich hoffe, dass du für dich gute Kombinationen findest, um Sightseeing und Erholung gut zu kombinieren. Wir genießen gerade das Nichtstun auf den Gili-Inseln, für neue Eindrücke bin ich noch nicht bereit. Alles Liebe dir, Jenni

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